Die Macht der Seuche. Wie die Große Pest die Welt veränderte

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Daten zum Buch
Deutscher Titel: Die Macht der Seuche. Wie die Große Pest die Welt verändertee
Autor(en): Volker Reinhardt
Herausgeber:
Erscheinungsort: München
Verlag: CH-Beck
Serie:
Erscheinungsjahr: 2021
Seitenanzahl: 256 Seiten
Originaltitel: -
Originalsprache: deutsch
ISBN-10: 340676729X
ISBN-13/

EAN-Code:

978-3406767296
Schlagwörter: Pest, 14. Jahrhundert
Sachgebiete: Sachbuch
Rezensionen

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Der Historiker Volker Reinhardt geht in seinem Buch "Die Macht der Seuche. Wie die Große Pest die Welt veränderte 1347 - 1353" der Frage nach, welche Erkenntnisse wir aus dem Ausbruch der großen Pest im 14. Jahrhundert in Europa vor dem Hintergrund der aktuellen Coronakrise ziehen können. Dabei befragt Reinhardt die vornehmlich aus Italien vorliegenden Quellen neu und versucht Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. (11)

In einem ersten Teil beschreibt Reinhardt den Verlauf bzw. die Ankunft der Pest ab 1347 aus Asien in Sizilien, wobei die Pest vor allem durch die steigende Handelsaktivität der italienischen Stadtstaaten mit Asien ihren Weg nach Europa fand. Quellen zufolge soll sich die Pest bereits ab 1331 in China verbreitet, dort zu einem Massensterben geführt und etwa 10 Jahre gebraucht haben, um nach Europa zu gelangen. (22). Der Pesterreger an sich wurde durch die Archäobiologie auf ein Alter von ca. 20.000 Jahre klassifiziert. (31) Von Sizilien aus verbreitete sich die Pest in den Folgejahren vor allem in den italienischen Stadtstaaten rasant, allen voran in Venedig und Florenz, wobei Mailand durch rigorose Abschottungspolitik (Einmauern von Infizierten) des regierenden signore Luchino Visconti eine Ausbreitung in dieser großen Welle weitestgehend verhindern konnte. (98 ff). Die Ausbreitung in eher ländlich geprägten Gebieten wie Polen und Norddeutschland war dagegen gering. (siehe Karte S. 25). Laut Reinhardt waren die Auswirkungen einer Infizierung auf die Menschen verheerend und trugen mit zu den kollektiven Traumaerlebnissen bei. Die Beulenpest mit ihren dunkelblau-schwarzen Beulen am ganzen Körper verursachte den Tod zu 75% und die Lungenpest gar zu nahezu 100%, wobei die Ansteckungsgefahr enorm war. (29) Ein Gegenmittel gegen diese Schrecken verbreitende Krankheit gab es im 14. Jahrhundert nicht und alle Mediziner und Gelehrten der Zeit lagen mit ihren Theorien weit von der Wahrheit entfernt, die erst 1894 Alexander Yersin mit der Identifizierung des Pestbakteriums gelang (31). Über die Sterberaten herrscht bis heute keine verlässliche Berechnung, zumal zeitgenössische Quellen vermutlich vor dem Hintergrund des enormen Schreckens die Zahl der Opfer eher übertrieben (34 ff). Auf ganz Europa betrachtet kann man aber von einer Sterberate von 1/4 bis 1/3 der europäischen Bevölkerung ausgehen, also von 80 Mio. damaligen Europäern könnten demnach also 20 Mio. an der Pest zu Tode gekommen sein, wobei die Verluste in einigen betroffenen Städten auch 50% oder mehr betragen haben könnte. Für Avignon etwa gibt es den Bericht über 30.000 Pesttote bei einer Einwohnerzahl von 40.000. (35)

In einem zweiten Teil befragt Reinhardt die Quellen vornehmlich aus Italien vor allem auf das persönliche Erleben der Menschen, die in dieser besonders herausfordernden und emotionalen Zeit lebten. Reinhardt weiß vor allem davon zu berichten, dass die Angst vor Ansteckung viele Menschen voneinander entfremdete, auch in Familien, es dadurch zu einem Riss im sozialen Gefüge gekommen sei. Auch wenn es wohl nirgends zu einem echten Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung gekommen sei, so herrschte dennoch vor allem Angst und Verzweiflung vor (57 ff). Auch die Profitgier einiger Zeitgenossen muss enorm gewesen sein, auch unter Medizinern und Geistlichen (69), die teilweise große Profite aus der Not zogen. Auch die Berichte über Ausschweifungen nach dem Ende der Pest dürfen nicht fehlen. (67) Dass aber bereits die Pest selbst zu einem ersten Anstieg auch von Kunst und Kultur führten, zeigt Rheinhardt an Boccaccios Dekameron, der er als "die literarische Frucht der Pest" bezeichnet. (84 ff.) Der Erzählzyklus des Dekameron beinhaltet 10 mal 10 Novellen, die - so die Rahmenhandlung - von 10 Pestflüchtlingen in einem Landhaus nahe bei Florenz entstanden sein sollen. In die Abgründe der menschlichen Psyche lassen schließlich zwei weitere Phänomene blicken, die durch die Pest verursacht worden sind. Zum einen sahen viele Zeitgenossen in der Pest eine Strafe Gottes für das sündige Leben der Menschen, weshalb das Geißlerphänomen entstand. Sogenannte Flagellanten zogen in großen Prozessionen von Stadt zu Stadt, um sich selbst zu züchtigen, wobei manche Städte wie Straßburg enthusiastisch auf die Ankunft der Geißler reagiert haben sollen. (146) Die Amtskirche reagierte hart auf diese Selbstermächtigung der Geißler und bezeichnete diese Bewegung als Skandal für die Gläubigen, weil sie fürchtete, so die Hoheit über das Seelenheil zu verlieren. Auch die Judenverfolgungen lassen tief in die Psyche der damaligen Zeitgenossen blicken. Die Juden wurden, vornehmlich auf dem Gebiet des Deutschen Reiches, der Brunnenvergiftung und dadurch als Auslöser der Pest verdächtigt, in einigen Städten wurden sie daher in Häuser getrieben, verbrannt oder per Zwangstaufe christianisiert. (145) Auffällig ist, dass es diese Verfolgungen weniger in den italienischen Stadtstaaten gab und auch der Papst Clemens VI. in einer Bulle dagegen vorging. Rheinhardt glaubt vor allem in Italien hier den beginnenden Humanismus am Werk zu sehen. (151)

In einem dritten Teil stellt Reinhardt die Frage nach den Nachwirkungen und Auswirkungen der Pest. Dass das Massensterben des 14. Jahrhunderts die Geburt der Renaissance bedeutet, hält der Historiker für eine verkürzte, spätere Projektion. Rheinhardt sieht zwar durchaus eine Schwächung der Adeligen und der Besitzstände an sich durch die Pest wirken, da die menschliche Arbeitskraft nun überall händeringend gesucht wurde, langfristig blieb es jedoch bei den überkommenden Machtverhältnisse, auch wenn die Pest den Aufstieg etlicher, vor allem reicher Familien begünstigte, darunter auch der Medici. Im Zuge der Pest setzte sich das Geld gegen den Adel in den italienischen Städten durch (176), was Rheinhardt auch an dem Kaufmann und Bankier Francesco di Marco Datini herausarbeitet, der durch konsequenten Handel mit krisenfesten Gütern wie Waffen, Lebensmittel und schließlich durch die Gründung einer Bank zu erheblichen Reichtum im Nachgang der Pest kam.

===Bewertung:=== Das Buch Rheinhardts bietet einen spannenden Blick auf die Pest und ihre Folgen im 14. Jahrhundert. Insbesondere die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur "Coronakrise des Jahres 2020" ist ein wichtiger Beitrag der Historiker für die Zeit, in der wir uns derzeit befinden. Kritisch zu bewerten ist jedoch die starke Fokussierung Rheinhardts auf Italien. Wenn die Pest bereits 1331 in China ausgebrochen ist, stellt sich doch die Frage, ob es dazu keine chinesischen Quellen gibt. Das wäre doch einmal ein lohnenden Ansatz gewesen, hier einen historischen Vergleich zu wagen. Auch frage ich mich, ob es nicht doch auch noch mehr Berichte aus Spanien, dem Deutschen Reich und Polen geben könnte, als Rheinhard hier versammelt hat. Zudem scheint mir, dass der Vergleich mit Corona noch mit heißer Nadel gestrickt ist. Mit 2020 ist die Coronakrise lange noch nicht beendet und wird vielleicht sogar noch ein paar Jahre andauern, Rheinhardt hätte also alle Zeit der Welt gehabt, sein Buch über die Pest zu erweitern und das wirkliche Ende der Krise in Europa abzuwarten, um vielleicht auch schon erste Auswirkungen zu sehen. Denn ob wir noch ähnliche Entwicklungen wie zur und nach der Pest im 14. Jahrhundert bekommen, steht noch in den Sternen. Angelegt scheint mir einiges, wenn ich an die vielen Verschwörungstheorien und Bereicherungsversuche durch die Krise gucke, aber vielleicht entsteht ja auch so etwas wie eine 2. Wiedergeburt der Antike an?