Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner

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Daten zum Buch
Deutscher Titel: Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner
Autor(en): Jochen Staadt, Tobias Voigt, Stefan Wolle
Herausgeber:
Erscheinungsort: Göttingen
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Serie:
Erscheinungsjahr: 2009
Seitenanzahl: 328 Seiten
Originaltitel: -
Originalsprache: Deutsch
ISBN-10: 3525363818
ISBN-13/

EAN-Code:

978-3525363812
Schlagwörter: Axel Springer, Stasi, 68er, Presse, Studenbewegung
Sachgebiete: Sachbuch
Rezensionen

Die drei Historiker der FU-Berlin Staadt, Voigt und Wolle aus dem Forschungsverbund SED-Staat setzen sich in ihrem Werk mit dem bis heute virulenten "Feind-Bild Springer" auseinader und gehen der Frage nach, wie es zu einem derartigen Feinbild in Ost und West kommen konnte und wo die Ursachen dafür zu suchen sind. Das Buch entstand auf Grundlage erhaltener MfS-Archive und mit Hilfe des Springer-Archivs. Für das Buch lag eine Kooperation zwischen dem Forschungsverbund und dem Axel-Springer-Verlag vor.

Die Autoren beginnen ihre Darstellung mit einer interessanten "Geschichte", die im Zusammenhang mit dem Bürohochhaus des Axel-Springer-Verlages in Berlin steht, das Axel Springer direkt an der Sektorengrenze noch vor dem Bau der Mauer in der Kochstraße hatte errichten lassen. Denn direkt neben dem zwischen 1959 und 1965 gebauten Springer-Gebäude steht das Gebäude der GSW Immobilien GmbH, das seit 1963 eine vom Senat West-Berlins bestückte und nach Osten über die Mauer ausgerichtete Presse-Laufschrift besaß, auf der die Nachrichten der freien Welt nach Ost-Berlin "ausgestrahlt" wurden. Kurioserweise, so die Autoren, wurde und wird bis heute diese Laufschrift in allen Quellen grundsätzlich dem Springer-Verlag zugeschrieben, was jedoch nicht der Wahrheit entspricht. (Erst dieser Tage hat der Springer-Verlag eine solche Laufschrift auf seinem Dach installiert.)

Die Laufschrift war der DDR ein so großes Dorn im Auge, dass Maßnahmen beraten wurden, diese Laufschrift für DDR-Bürger "unsichtbar" zu machen. Man entschloss sich schließlich ein ganzes Stadtviertel gegen den Springer-Verlag in Stellung zu bringen, so dass die DDR bis 1968 an der Leipziger Straße etliche 27-geschossige Hochhäuser (den Komplex Leipziger Straße) baute, um diese Laufschrift zu verdecken. (9)

Überhaupt gibt es eine ganze Menge historisch relevanter "Geschichten" rund um dieses Gebäude, die viel von dem Konflikt andeuten, der sich zwischen der DDR und dem Springer-Verlag entzündete und letztlich, so die These des Buches, den Ausschlag auch für die Proteste in West-Berlin gab. So gab es etwa von der Baustelle des Verlagsgebäudes einen Fluchttunnel unter der Mauer hindurch, durch die Rudolf Müller 1962 seine Familie in den Westen bringen wollte. Bei dem Fluchtversuch erschoss Müller den DDR-Grenzer Huhn, woraufhin die DDR für den erschossenen Grenzer ein heute abgebautes Mahnmahl errichten ließ, das sich anklagend gegen den Springer-Verlag richtete. (36 ff). Auch nicht ohne Relevanz, wenn auch schon nach den 68er Krawallen gegen den Springer-Verlag anzusiedeln, sind die sogenannten "Stones-Krawalle" (191 ff). Denn unter den Jugendlichen der DDR hatte sich das Gerücht verbreitet, die Stones würden am 7.10.1969 auf dem Dach des Springer-Verlages ein Konzert geben, das man so natürlich bis zum Spittelmarkt hören würde. Die Sicherheitskräfte der DDR hatten alle Hände voll zu tun, um das Viertel rund um den Spittelmarkt mit Blick auf das Dach des Springer-Verlages von "Jugendlichen mit dekadentem Äußeren" (192) zu befreien. Die U-Bahn wurde stillgelegt und es "mussten" insgesamt 450 Jugendliche verhaftet und schließlich sogar die FDJ mobilisert werden, um die Jugendlichen abzudrängen, so groß war der Andrang.

All das deutet einen Stellvertreterkonflikt an, der sich zwischen dem Springer-Verlag als Sinnbild für die freie Presse Westdeutschlands und der DDR herauskristallisierte. So sind denn auch die ersten propagandistischen Schriften der DDR gegen Springer ab 1960 bezeugt, wobei die marxistische Kernaussage darin bestand zu behaupten, die Meinungsmanipulation der BILD-Zeitung würde versuchen, die Arbeiter Westdeutschland vom Klassenkampf abzulenken (46 ff.). Die Bekämpfung Springers war der DDR so wichtig, dass sie neben der obligatorischen Bearbeitung durch Spitzel (eine langjährige Sekretärin Axel Springers berichtete direkt an Ost-Berlin, S. 217 ff.) sogar einen sehr aufwändigen fünfteiligen Fernsehfilm bei Karl Georg Egel in Auftrag gab, der 1968 einmalig ausgestrahlt wurde und sich auf die Behauptung verstieg, der Springer-Konzern sei nach dem Krieg aus finanziellen Mitteln der SS finanziert worden (151 ff.). Diese Behauptung stand auf so hölzernen Füßen, dass sie selbst intern kritisiert wurde, wenngleich Staadt, Voigt und Wolle durchaus anerkennen, dass Axel Springer in seiner Einstellungspolitik nach dem Krieg wie viele andere Institutionen das nötige Fingerspitzengefühl im Umgang mit belasteten Tätern aus dem 3. Reich vermissen ließ. (65)

Die Vorlage dieser Argumentationskette, die aus dem Osten kam, habe jedoch, so die Autoren, zumindest stark beeinflussend auf die Anti-Springer-Bewegung Westdeutschland gewirkt, die in dem "Enteignet-Springer-Tribunal" der westdeutschen Studenten gipfelte. (130 ff.). In diesem Zusammenhang ist neurdings auch bekanntgeworden, dass Augstein ("Der Spiegel") und Bucerius ("Die ZEIT") die studentische Bewegung mit Spenden und Ideen unterstützte, um die Gefahr einer Pressekonzentration abzumildern. (134) Die Thesen einer Meinungsmanipulation seien jedoch in keiner Weise haltbar, da zum einen 1969 Willy Brandt die Wahlen gewonnen hätte und dies gegen die Theorie der öffentlichen Meinungsmanipulation durch den konservativen Springer-Konzern eklatant zuwiderlaufe. Außerdem hätten schon Forschungen in den 60er Jahren gezeigt, dass die massenmediale Kommunikation keinesfalls die Individualkommunikation kontrollieren könne. (147).

Bewertung: Die Forschungsarbeit der drei Historiker aus dem Forschungsverband ist ein wichtiger Meilenstein in der Erforschung der Pressegeschichte der Bundesrepublik Deutschland und schließt eine empfindliche Lücke in der bis heute von vielen Vorurteilen begleiteten Beurteilung des Springer-Konzerns. Nichtsdestotrotz zeigt die Studie auch empfindliche Lücken. So wäre es nötig gewesen, mehr auf die entsprechenden aktuellen Publikationen der damaligen studentischen Protagonisten einzugehen. So beschreibt etwa Peter Schneider in seiner Autobiographie Rebellion und Wahn - Mein '68. Eine autobiographische Erzählung sehr eindringlich, dass man die Manipulationsversuche der Stasi eher mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen habe und deren Material schlicht nicht benutzen wollte und konnte, da es zu ideologisch gewesen sei. Zudem hätte das Buch mehr auf den Hauptvorwurf aus diesem Milieu eingehen müssen, nämlich den, dass der Springer-Konzern maßgeblich am Attentat auf Rudi Dutschke mitverantwortlich sei. Bis heute kursieren im Internet Wander-Legenden (zuletzt zur Eröffnung des Medienarchivs 68 durch den Springer-Verlag) die behaupten, die BILD-Zeitung hätte am Tag des Attentats auf Dutschke mit der Schlagzeile "Staatsfeind Nr.1" aufgemacht. Doch dies ist nachweislich eine Legende. Schade, dass das Buch diesen sensiblen Bereich ausgespart hat.