Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten

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Daten zum Buch
Deutscher Titel: Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten
Autor(en): Thomas Wagner
Herausgeber:
Erscheinungsort: Berlin
Verlag: Aufbau Verlag
Serie:
Erscheinungsjahr: 2017
Seitenanzahl: 352 Seiten
Originaltitel: -
Originalsprache: deutsch
ISBN-10: 3351036868
ISBN-13/

EAN-Code:

978-3351036867
Schlagwörter: 1968, Neue Rechte, Götz Kubitschek, Identitäre Bewegung
Sachgebiete: Sachbuch
Rezensionen

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Der Soziologe und Journalist Thomas Wagner versucht in seinem Sachbuch den Grund für den Aufstieg der Neuen Rechten in den 2010er Jahre zu beleuchten. Dabei beschreibt er den Weg, den die Rechte in Deutschland nach dem verlorenen 2. Weltkrieg intellektuell genommen hat und wie durch einen Strategiewechsel, der in Teilen die Methoden der linken 1968er-Jahren kopierte, vor allem in den 2010er Jahren ein Aufstieg, vor allem in Form der Identitären Bewegung und durch die AFD gelungen ist.

Zunächst versucht Wagner an Hand von Arnold Gehlen zu zeigen, in welch resignativer Situation der Konservativismus nach dem Ende des 2. Weltkriegs war. Dazu erzählt Wagner eine Geschichte über Arnold Gehlen. Arnold Gehlen, Soziologe in Aachen, wurde 1969 von Studenten aus Frankfurt zur ersten Auflage seines bis heute gelesenen Buches „Der Mensch“ zur Rede gestellt, in dem er rassenideologisches Vokabular Alfred Rosenbergs verwendet hatte, das er dann aber in folgenden Auflagen in der Bundesrepublik stillschweigend entfernt hatte. Auf die Vorhaltungen der Studenten entgegnete er lediglich, dass er das heute so nicht mehr schreiben würde, schwieg ansonsten aber beharrlich über seine Rolle in der NS-Zeit. Für Wagner ist diese Szene sympomatisch für den geistigen Zustand der Rechten der 50er-Jahre. Berühmt geworden ist Gehlen darüber hinaus durch seine Gegnerschaft zu Adorno und seine grundlegenden Kritik an den 68ern, die seiner Meinung nach eine „Hypermoral“ vertreten würden, worunter Gehlen verstand, individuelle Moral, die nur im Kleinen funktionieren kann, auf große Verbände zu übertragen. Was im Kleinen richtig sein kann, nämlich einem Geflüchteten direkt Unterschlupf zu bieten, sei auf nationaler Ebene jedoch schädlich. (33)

Als ein Gründungsmoment der rechten APO beschreibt Wagner die Gegendemonstrationen der NPD gegen Willy Brandts Ostpolitik 1970 in Kassel. Gegen ein Treffen Brandts mit Stoph hatte die NPD eine Gegendemonstration von 2.500 Demonstranten organisiert und am Abend hatten es rechte Jugendgruppen geschafft, die Fahne der DDR einzuholen und eine schwarze Fahne als Symbol gegen die deutsche Teilung an ihrer Stelle zu hissen. Fast wäre die DDR-Delegation daraufhin abgereist. Hauptmotivator der neuen Rechten sei damals Henning Eichberg gewesen, der später auch die Viking-Jugend mitgegründet hatte und sich damals als progressiver Nationalist bezeichnete. Wagner besuchte den mittlerweile verstorbenen Eichberg auch für die Recherche zu dem Buch in Dänemark. Eichberg bezeichnete sich dort als antiautoritären Sozialisten und wird rückblickend gerne auch als Dutschke von Rechts bezeichnet. Für Wagner liegt hier im Jahr 1970 ein Gründungsmoment der heutigen Identitären Bewegung, die hier angefangen habe, die Aufmerksamkeits- und Skandalisierungsmethoden der 1968er zu kopieren.

Vorbild für die Neue Rechte in Deutschland lassen sich Wagner zufolge auch in Frankreich finden. Zu nennen ist hier vor allem Alain de Benoist, dessen Ideen sich wiederum selbst auf Sorels „Über die Gewalt“, Lenins „Was tun“ sowie Gramscis Idee zur Erlangung einer kulturellen Hegemonie, die noch vor einer politischen Hegemonie erlangt werden müsse, speisen. Benoist und Eichberg hätten sich bereits früh in einem Zeltlager kennengelernt und gegenseitig befruchtet. Wagner kontakierte auch Benoist im Zuge der Recherche zu dem Buch, weshalb er seine heutige interessante Selbsteinschätzung wiedergeben kann, wonach er selbst ein "linker Rechter" bzw. ein "rechter Linker" sei. (66)

Neben dem Stilmittel der Provokation der 68er soll laut Wagner Eichberg auch als Ideengeber des Konzepts des Ethnopluralismus für die Neue Rechte gewesen sein. Denn beide Konzepte werden u.a. von Götz Kubitschek und seinem Verlag Antaios mit Sitz in Schnellroda als eine Art rechter Think-Tank der heutigen Neuen Rechten propagiert. Hier arbeitet u.a. Benedikt Kaiser als Lektor, der u.a. über den Eurofaschismus von Pierre Drieu la Rochelle geschrieben hat. Thomas Wagner hat für sein Buch u.a. mit Benedikt Kaiser gesprochen und auch Interviews mit Götz Kubitschek geführt, die in dem Band auch abgedruckt sind.

Während schon die Junge Freiheit, die aus den Resten der Republikaner entstanden war, bereits in den 80er-Jahren eine Strategie wählte, sich von der alten Rechten (den "Altnazis") abzugrenzen, so wie das z.B. in Armin Mohlers Essay „Der faschistische Stil“ bereits in den 1970er-Jahren versucht worden war zu formulieren, gab die Wende schließlich der Neuen Rechten einen ersten Schub. Vor allem im Osten der Republik war von nun an die Jugendkultur nach Wagner nicht mehr a priori links. So deutet Wagner etwa den Techno auch im Sinne von Ernst Jüngers Stahlgewitter und ritualisiertem Gemeinschaftserlebnis als tendentiell eher rechts. Im Zuge dessen erschien auch der Band „Wir 89er“, in dem in Abgrenzung zu 1968 versucht wurde die Neue Rechte zu konstituieren. Hauptinitiator war damals der ehemalige Maoist und Historiker Rainer Zitelmann, der als Cheflektor des Ullstein-Verlages und Redakteur der WELT versuchte, die Neue Rechte salonfähig zu machen. Am Ende scheiterte dieser Versuch jedoch noch.

Als wichtige Wegmarke zum Aufstieg der Neuen Rechten sieht Wagner auch das Buch Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ aus dem Jahr 2010. Dies wird etwa auch von Martin Sellner, dem intellektuellen Kopf der Identitären Bewegung in einem Vorwort zu Renaud Camus Buch "Revolte gegen den Großen Austausch", dessen Übersetzung 2016 im Antaois-Verlag 2016 erschienen ist, bestätigt. (228) Überhaupt ist nach Wagner die Erzählung vom - vermeintlichen Plan zu einem großen Bevölkerungsaustausch der Dreh- und Angelpunkt der neurechten Kulturhegemoniestrategie geworden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass etwa der 1973 erschienene und in Frankreich oft verkaufte Roman Jean Raspails „Das Heerlager der Heiligen“ im Antaios-Verlag übersetzt und nachgedruckt worden ist. Der Roman handelt davon, wie 1 Millionen Inder nach einer großen Hungersnot mit 100 Schiffen an der französischen Küste anlanden, aber die Eliten darin versagen, die Invasion bis dahin abzuwehren. Alleine an diesem Roman sieht man nach Wagner die Strategie der Neuen Rechten, diese Erzählung mit der "Asylkrise 2015" und der Sylvesternacht 2016 fortzusetzen.

Wagner schließt sein Buch mit einem Kapitel, das "das uneingelöste Versprechen von 1968" überschrieben ist. Darin geht Wagner etwa auch auf das jüngst viel besprochenen Buch von Didier Eribon ein, der beschrieben hatte, wie sich in Frankreich ein Großteil der Arbeiter und einfachen Leute von der Linken abgewandt und der Neuen Rechten zugewandt hat. Laut Wagner konnte die Neue Rechte auch deshalb in jüngster Zeit so viel Auftrieb erhalten, weil die Linke nicht mehr die Verteilungsfrage in den Vordergrund stellen würde, sondern z.B. die Frage nach dem richtigen Umgang mit Sprache. Wagner zitiert in diesem Zusammenhang die Analyse Bernd Stegemanns über das Gendern als eine neue Form der höfischen Sprache, die Probleme behandelt, die aber große Teile des Volkes nicht beschäftigen würde. Wagner schließt sich diesem Diktum an und meint, dass wieder mehr klassische linke Fragen gestellt werden müssten, z.B. die nach einer Verteilungsgerechtigkeit und danach, welche Interessen hinter den Kriegen in Lybien und Syrien wirklich stehen würden, die ja die Wanderungswellen in Europa verursacht haben.

Bewertung

Das Buch Wagners ist umfassend recherchiert und beleuchtet viele Strömungen der Neuen Rechten sehr kenntnisreich. Es handelt sich jedoch, auch durch die Einschübe der Interviews, eher nicht um ein klassisches Sachbuch, sondern um eine Mischung aus Sach- und Reportagebuch. Wagner ist für den Stil des Buches und für die teilweise unkritische Haltung gegenüber seinen neurechten Interviewpartner vielfach kritisiert worden, da man sich teilweise des Eindrucks der Sympathie für die Neue Rechte bzw. einer Querfront nicht verwehren kann. Dennoch ist das Buch für Jeden, der sich über die Neue Rechte informieren will, ein absolutes Muss. Die These, dass die Neue Rechte an den Strategien der 1968er gelernt hat, ist absolut nachvollziehbar. Vor allem die Erkenntnis, dass hinter der penetrant vorgetragenen Erzählung von einem vermeintlich durch die Eliten Europas geplanten großen Bevölkerungsaustausch in Europa, was nicht mehr als eine rechte Verschwörungstheorie ist, eine an Gramsci angelehnte Strategie zur Erlangung der kulturellen Hegemonie liegen könnte, macht Wagners Buch für die heutige Diskussion sehr wertvoll. Rechte Strategen versuchen über den Weg des Angstmachens, so ja auch der im übrigen nirgendwo erläuterte Titel des Buches, den politischen Diskurs zu dominieren.